...sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Ringe sind etwas besonderes. Oft bedeutet der Ring für den Träger mehr als nur ein Schmuckstück. Der Ehering als Symbol der Verbundenheit und Liebe hat einen ganz besonderen Stellenwert. Ich erzähle die Geschichte eines Ringes, der 1928 die Ehe meiner Großeltern besiegelt hat. 1928 - Wilhelmina und Theo heiraten, der Ring verschwindetMeine Oma und mein Opa haben 1928 am Niederrhein geheiratet, da waren sie 23 und 24 Jahre jung, im gleichen Jahr ist meine Tante Johanna geboren. Wilhelmina und Theo waren erst ca. ein halbes Jahr lang verheiratet und es gab im Jahr 1928 einen Winter mit viel Schnee. Die jungen Leute haben sich übermütig eine Schneeballschlacht geliefert und viel Spaß dabei. Der Schreck folgte dem Spaß: Wilhelminas Ehering war weg, verschwunden, vom Finger gerutscht und nicht auffindbar. Verzweifelt wurde die Suche gestartet, der Bauer des Hofes und seine Frau halfen mit, selbst der Ententeich auf dem Hof wurde ausgepumpt. Enttäuscht stellte man fest, der Ring bleibt verschwunden. 1940 - Wilhelmina stirbt....Nach Johanna kam meine Mutter Josefine 1930 auf die Welt. Es folgten noch fünf weitere Kinder, insgesamt waren es sieben.. Das letzte Kind wurde 1940 geboren. Es war mein Onkel Ernst, der einzige Junge unter den Geschwistern. Es herrschte Krieg und die Zeiten waren schlecht. 7 Kinder in 12 Jahren gehen nicht spurlos an einer jungen Frau vorbei. Wilhelmina starb bei der Geburt ihres letzen Kindes. Meine Mama war 10 Jahre alt und hat schon sehr früh viel Verantwortung übernommen. Der Tod ihrer Mutter war für die damals 10-jährige ein tiefer Einschnitt, denn ihre Verbindung zu Wilhelmina war etwas ganz besonderes. Viel Zeit für Trauer blieb nicht, der Krieg war grausam und es ging ums Überleben auf dem Land. 1944 - Zwangsarbeit und ein FundVier Jahre nach Wilhelminas Tod geschah etwas Unerwartetes. Theo hat inzwischen eine kinderlose Frau geheiratet, die später meine Oma war. Es war immer noch Krieg und ein Zwangsarbeiter aus der Ukraine arbeitete auf dem Bauernhof mit dem Ententeich. Seine Aufgabe war es die Hecke zu schneiden, die seit langem wild wucherte. Dabei entdeckte der Mann einen Ring, der regelrecht verwachsen war. Er ging mit diesem Fund zum Bauern. Der erinnerte sich an die jungen Leute, die 16 Jahre zuvor den Ehering bei einer Schneeballschlacht verloren haben. Mit dem Ring ging er zu Opa, der überhaupt nicht glauben konnte, dass es sich um das Schmuckstück seiner geliebten, verstorbenen Frau handelte. Die Gravur in dem Ring war der Beweis. Es gab wenig womit Opa dem Mann aus der Ukraine danken konnte, das war auch gar nicht erlaubt. Meine Mutter erinnert sich jedoch an Tabakblätter, die der Ukrainer bekam. Viel mehr konnte Opa nicht geben. Und Mama? Sie war glücklich, dass der Ring da war. Sie hatte ihn ja nie am Finger ihrer Mutter gesehen und kannte nur die Geschichte, sie war inzwischen 14 Jahre alt. 1950 - Josefine und Franz heiraten. Und der Ring?Der Krieg war zu Ende und Mama war gerade mal 20 Jahre alt, als sie meinen Papa im März 1950 heiratete. Opa hat ihr den Ring geschenkt, weil er von der besonderen Verbindung zwischen meiner Mama Josefine und Oma Wilhelmina wusste. Mama war sehr glücklich darüber und hütete fortan den Ring wie einen Augapfel. Im Mai 1950 wurde Rosi geboren. Danach folgte meine Schwester Iris, dann kam ich und Holger war der letztgeborene. Wir alle wuchsen in Kamp-Lintfort auf, wo Mama heute noch wohnt. 2021 - Ein Osterbesuch und der Ring verschwindet erneutEs sind viele Jahrzehnte vergangen. Rosi feiert in diesem Jahr ihre eigene Goldhochzeit und Mama ist 91 Jahre alt. Franz starb im November 2010 und sie blieb ohne ihn zurück. Der Ring jedoch war in den letzten 71 Jahren ihr ständiger Begleiter Im Laufe der Zeit hat sie ihn ändern lassen, er musste geweitet werden und bekam einen kleinen Brillianten dazu. In den letzten Jahren nahm Josefine viel Gewicht ab, auch ihre Finger wurden immer dünner, so dass der Ring leicht verloren gehen konnte. Sie wollte ihn "eines Tages" mal wieder anpassen lassen. Am Ostersonntag 2021 holte mein Schwager Werner die Mama von zuhause ab, Rosi hatte sie zum Essen eingeladen. Sie verbrachten einen schönen Nachmittag und dann wurde Mama wieder nach Hause gebracht. Die erfolglose Suche nach dem Ring ...Zuhause dann der Schreck: Der Ring ist verschwunden. Die Wohnung wird auf den Kopf gestellt. Sowohl die eigene, als auch die Wohnung von Rosi und Werner. Auch das Auto wurde untersucht - ohne Erfolg. Mama ging es sehr schlecht, sie schlief unruhig, war traurig und litt sehr, denn der Ring war soviel mehr wert als Gold, aus dem er gemacht war. Ein Teil von ihr, eine Erinnerung an ihre Eltern und die Erlebnisse aus sieben Jahrzehnten. Wir alle haben ihr Leiden gespürt und wollten so gern helfen. Vielleicht ist er ja doch beim Aussteigen aus dem Auto in den Vorgarten gefallen? Oder in den Gulli? Vielleich in die Toilette? Ich habe einen Aufruf in eine Facebook Gruppe "Du bist Kamp-Lintforter wenn...." gestartet. Falls jemand zufällig den Ring findet, bitte melden. Der Aufruf erzeugte große Anteilnahme, es wurde ein Ring im Supermarkt gefunden, das war aber nicht Mamas Ring. Die liebe Carmen Renner bot sich an, mit einem Metalldetektor den Hof und Mamas Wohnung abzusuchen. Ohne Erfolg. Der Ring war nicht auffindbar. Mama fand sich inzwischen damit ab, es blieb ein schmerzhafter Verlust. November 2021 - Ein weiterer Abschied und der Ring spielt eine RolleDas Leben geht weiter und es ist nicht immer gut oder gerecht. Es bringt Freude und Leid. Großes Leid passiert erneut im November 2021. Werner, Rosis Mann stirbt. Wir alle können es kaum glauben, es war nicht vorhersehbar - aber wann ist es das schon? Rosi funktioniert, lenkt sich ab, arrangiert alles. Was passiert mit dem großen Auto, der Touran? Er soll verkauft werden und es gibt schnell Interessenten. Ich helfe ihr so gut ich kann. Sie möchte das große Auto nicht aus der Garage fahren, wir benötigen aber Fotos aus dem Innenraum. Ich übernehme den Job. Drei Ringe den Elfenkönigen hoch im Licht..."Schau doch bitte noch einmal, ob Du den Ring findest"... Mama hat nie aufgehört daran zu glauben.
Als ich im Wagen sitze, habe ich das Gefühl, dass der Ring da ist und durchsuche das Auto akribisch. Ich habe jede Matte hochgehoben, die Sitze inspiziert, in den Spalt zwischen Sitz und Konsole geschaut. Dort habe ich den Zigarettenanzünder herausgefischt, Papierfetzen von Bonbons, ein Papiertaschentuch und ein 10-Cent-Stück. Kein Ring. Doch dann: Da blitzt etwas ganz schwach auf. Ich lege mich unter den Rücksitz und sehe es deutlicher. Es könnte ein Ring sein. Aber ich komm nicht ran. Ich bitte Rosi, irgendetwas zu holen, womit ich danach angeln kann. Während sie unterwegs ist, ziehe ich den Vordersitz ganz nach vorne und komme an das, was sich dort versteckt, heran. Es ist der Ring. Mamas Ring, Omas Ring. Der Ring ist wieder da, Mama ist ganz glücklich, bei aller Trauer, die wir gerade haben. Eine weitere Ironie: Eigentlich wollte ich mich zu der Zeit im Urlaub befinden. Doris, meine Freundin, erkrankte jedoch an Covid-19 und ich habe die Reise ebenfalls storniert. So konnte ich das Auto fotografieren und fand den Ring. Schicksal, Zufall? Zufall ist das, was uns zufällt. Der Ring wird weiter bei uns bleiben.
6 Comments
Nicole
11/23/2021 06:01:27 am
Liebe Bea, was für eine wunderbare Geschichte ❤️. Sie bestärkt mich im Glauben daran, dass nichts ohne Grund geschieht und alles einen Sinn macht. Manchmal muss man für die Betrachtung etwas Abstand nehmen um den Sinn zu erkennen.
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Beatrix Gutmann
11/23/2021 06:18:06 am
Vielen Dank du liebe…
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Nina Spiel
11/23/2021 06:34:35 am
Hammer, liebe Bea!
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Beatrix Gutmann
11/23/2021 06:36:14 am
Das Stimmt, Nina eine ganz besondere Geschichte. Mehr als 90 Jahre alt.
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11/23/2021 09:33:35 am
Liebe Bea, diese Geschichte ist so berührend! Heiter, tragisch... mit einem wundervollen Ende...oder ist das der Anfang für etwas Neues...?
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Beatrix Gutmann
11/23/2021 11:42:17 am
Herzlichen Dank Anja. Wir wissen ja Dinge passieren damit andere Dinge passieren können.
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Bea GUtmannIch blogge über Social Media Themen, Achtsamkeit, On- und Offline-Aktivitäten. Archives
März 2021
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